Wie gehen die Zürcher Reformierten an „KirchGemeindePlus“ (KGP) heran – den Prozess, den der Projektleiter Martin Peier als „grösste Herausforderung für uns Reformierte“ bezeichnet? An den fünf Regionalkonferenzen mit je 150-200 Behördenmitgliedern, die im April 2013 stattfanden, folgten auf zwei anregende Referate kontroverse Diskussionen. Eindrücke:

Kirchenratspräsident Michel Müller fragt die Teilnehmenden aus den Kirchenpflegen, was sie zuinnerst bewegt, für die Kirche zu arbeiten: „Was ist das ganz Wichtige, wofür Ihr Herz schlägt?“ Müller äussert Stolz über die grosse Freiheit, die Vielfalt von Meinungen und Formen in der reformierten Landeskirche, ohne die Schattenseite, das fehlende Profil, zu verschweigen. Zudem hebt er die volle Gleichberechtigung der Frauen in den Ämtern der Kirche hervor.

Dann kommt er auf die Gründe für KGP zu sprechen: den Schwund an Mitgliedern und Finanzen, der mit dem Wegsterben der (weniger austretenden) älteren Generation zunehmen wird. „Stellen wir uns den Tatsachen.“ Müller erwähnt die Initiative der Jungfreisinnigen zur Abschaffung der Kirchensteuer der juristischen Personen. Auch wenn sie vom Stimmvolk abgelehnt wird, steht ein Abbau ins Haus – „wir müssen einiges aufgeben“.

„Starke Kirchgemeinden bilden“

Die Entwicklungen weiterlaufen zu lassen und auf eine Trendwende zu hoffen, ist für den Kirchenrat keine Option. Er schlägt unter dem Motto „ZusammenWachsen“ Fusionen vor, im Bestreben, der Kirche, die 2019 ihr 500-jähriges Bestehen feiert, eine Zukunftsperspektive zu schaffen. Michel Müller sucht Zuversicht zu mehren: „Wir wollen Probleme auch überholen, indem wir starke Kirchgemeinden bilden, die den Rückgang auffangen können.“ Jene Gemeinden, die sich noch stark und lebendig fühlten, sollten schwächeren aufhelfen, ruft der Kirchenratspräsident in den Saal und plädiert für eine Transformation, damit die Kirche „für unsere Kinder und Nachkommen“ erhalten bleibt.

Es geht um die geglaubte Kirche

Nach Müller spricht Ralph Kunz, Professor für praktische Theologie an der Universität. Seine Anrede „Liebe Geschwister in Christus“ führt zum Kern seiner Überlegungen: „Jesus gründete keine Kirche, hatte keine Organisation. Wer mit ihm zog, wurde Schwester, Bruder oder Freund genannt.“ Erneut gehe es um die geglaubte Kirche – um Gemeindeaufbau. Kunz greift auf die Geschichte vom Schiff im Sturm zurück: „Wecken Sie Jesus auf! Das Schiff geht nicht unter.“ Für eine Minute der Diskussion um KGP solle zwei Minuten gebetet werden, rät Kunz. Und macht Mut, die Verlustangst „an den Hörnern zu packen“.

Weiter kommen und reifen

Solange eine kritische Masse da sei, gebe es Raum für kreative Lösungen. „Wir können uns gegenseitig anstecken mit guten Ideen, Vertrauen und Mut.“ Die Gemeinden unterscheiden sich in Potenzialen und Ressourcen, sagt der Professor. Man dürfe „nicht alle strukturellen Probleme über den gleichen Leisten schlagen“. Mit Blick auf die Geschichte der Israeliten und ihre Deportation nach Babel ruft Ralph Kunz dazu auf, Kirche (griechisch: ekklesia, Versammlung) neu nicht-territorial zu denken. „Wir sollen im Übergang weiter kommen, wachsen, wandeln und reifen“ – das werde in der Bibel mit dem Heiligen Geist in Verbindung gebracht.

„Wo zwei oder drei in Gottes Namen…“

„ZusammenWachsen“ hat der Kirchenrat als Devise ausgegeben. Der KGP-Koordinator Martin Peier nennt das Ziel: „so stark werden, um das Erhoffte tun zu können – das, was man eigentlich möchte“. Er skizziert KGP als Prozess, der innert fünf Jahren zu Beschlüssen der Kirchgemeinden führen soll. Zuerst soll an der Basis diskutiert werden. „Wo zwei oder drei in Gottes Namen beisammen sind, da reden sie miteinander.“ Dialog sei ein Grundpfeiler des Prozesses KGP, sagt Peier. Die Regionalkonferenzen sind der Anfang: Achtergruppen können formulieren, was ihnen gefällt, was zu Widerspruch und Widerstand reizt und was weiter zu bedenken ist.

Mehr reisen, weniger Beziehung?

Nach einer Stunde geht Martin Peier mit dem Mikrofon durch den Saal. Sprecher der Gruppen teilen den Versammelten mit, was sie beschäftigt hat. Positiv wird etwa vermerkt, dass alte Zöpfe abgeschnitten werden, dass die Gemeinde sich ihrer Ressourcen bewusst wird und der Blick aufs Ganze der Kirche geht. „Not macht erfinderisch“, sagt jemand. KGP prinzipiell in Frage zu stellen, wagt kaum einer, doch Befürchtungen und Bedenken äussern viele, etwa zum Zeitplan und zum Zusammenhalt. „Sind wir am Schluss ein Sack von Flöhen?“ Und: „Beziehungen nehmen Schaden, wenn wir viel in der Region herumreisen.“ Ältere Menschen seien nicht so mobil wie junge.

„Es darf keine Zwangsfusionen geben!“

„Grössere Gebilde brauchen eine starke Mitte“, hat eine Gruppe formuliert. Was bleibt von der Autonomie der Kirchgemeinden? „Es darf keine Zwangsfusionen geben!“ Die Zahl von 5000 Mitgliedern hange wie ein „Damoklesschwert“ im Raum. Kann es statt Zusammenschluss Zusammenarbeit geben? Eine Gruppe meint, dass es für bisher grössere Gemeinden durch Fusionen mit kleineren nur komplizierter werde. Eine andere befürchtet weniger Kirche im Dorf – und dass kleine Gemeinden von grossen verschlungen werden, dass eliminiert statt optimiert wird. Einige fragen, ob die Kirche sich auch in ihren Inhalten erneuert, wenn sie ihre Strukturen aufbricht. „Was macht Gemeinde lebendig? Was soll Kirche sein?“ Ein Kirchgemeindepräsident dankt, dass die Verantwortlichen vom Zuspruch Gottes ausgehen, der Hoffnung gibt.

2013: Zeit für Dialoge

“Lancieren Sie einen Impuls-Dialog”: Martin Peier, KGP-Beauftragter.

Die Anstösse aus den Regionalkonferenzen werden bald ins Netz gestellt. Jene, die bestimmte Themen weiter diskutieren wollen, sollen nach dem Wunsch des Kirchenrats selbst Impuls-Dialoge lancieren und Interessierte zusammenrufen. Auf der Website KirchGemeindePlus werden die Initianten zu den Dialogen einladen können. Denn 2013, führt Peier aus, ist dem Austausch gewidmet: „Bereichern Sie sich am Wissen und der Erfahrung anderer Gemeinden.“ Man wolle „so lange reden, bis wir eine Lösung gefunden haben“. Ab 2015 werden Gemeindekonzepte erstellt. Durch Zusammenschlüsse, so Peier, sollen „re-formierte Gemeinden entstehen, in der Gesellschaft, in der wir nicht mehr gut sind, einfach weil wir es gut meinen“. Im säkularen Umfeld müsse sich die Kirche „immer wieder neu plausibel machen“.

EVKZ-Gespräch mit Kirchenratspräsident Michel Müller: “Das Potenzial der Kirchgemeinden steigern”

Sechs Statements zu KirchGemeindePlus – diskutieren Sie mit!

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